Wie die Tübinger Mischung Gärten und Kommunalflächen in Blühparadiese verwandelt

Wie die Tübinger Mischung Gärten und Kommunalflächen in Blühparadiese verwandelt

Warum überhaupt handeln? — Die Insektenkrise vor der Haustür

Städtische Lebensräume galten lange als „grüne Oasen“ für Insekten, ­aber selbst hier gehen die Bestände dramatisch zurück. Eine EU-Analyse vom Juni 2025 warnt, dass bereits 9 % aller Wildbienen-, 20 % der Schmetterlings- und sogar 40 % der Schwebfliegen-Arten in Europa vom Aussterben bedroht sind.

Auch in Deutschland bestätigt eine 2024 erschienene Langzeit­studie: Nicht in erster Linie das Wetter, sondern vor allem unsere Land- und Flächennutzung entscheidet über die Vielfalt der Insekten – Asphalt, Stein­­gärten und monotone Rasenflächen lassen kaum Nahrung übrig. Selbst in Schutzgebieten sinkt die Vielfalt an Insekten durch eine grundsätzliche Abnahme der Diversität der Biomasse.

Kurz: Wer in Hof, Vorgarten, selbst auf dem Balkon oder auf der kommunalen Verkehrsinsel blütenreiche Flächen anlegt, setzt ein dringend nötiges Gegengewicht.


Was steckt hinter der „Tübinger Mischung“?

Anfang der 1990er Jahre entwickelte ein Forschungsteam an der Uni Hohenheim bei Tübingen eine Samenmischung, die über Monate ein lückenloses Nahrungs­angebot für unsere heimischen Insekten liefern sollte – heute deutschlandweit als „Tübinger Mischung“ im Handel. Enthalten sind 11 Arten:

 Rolle Art (Gew.-%) Erscheinung
Bewährter Bienenmagnet Phacelia (40%) lila Büschel, die Bienen magisch anziehen
Frühzünder und Lückenfüller Buchweizen 25%, Gelbsenf 7% weiße Wölkchen und gelbe Tupfen schon ab Juni
Duft und Würze Koriander 6%, Dill 2% locken Schwebefliegen an (natürliche Blattlausjäger)
Farbspektakel bis in den Herbst Ringelblume 5%, Kornblume 2%, Malve 3% Orange, Blau, Purpur - auch für Selfies in der Natur beliebt :)
Struktur und späte Insektennahrung Ölrettich 4%, Schwarzkümmel 5%, Borretsch 1% robuste Stängel, letzter Nektar im Oktober

 

 

Besonders praktisch an der Tübinger Mischung:

  • einjährig – jedes Jahr neu gestaltbar, keine Verbuschung.

  • ohne Leguminosen – ggf. auch in vielen Wasser­schutz­zonen zulässig.

  • Saatmenge: nur 1 g/m²; ein 1-kg-Beutel reicht also für ca. 1 000 m².


Urban perfekt – So spielt die Tübinger Mischung ihre Stärken in Stadt & Kleingarten aus

Die Tübinger Mischung bietet eine ganze Reihe an Vorzügen:

  • Farbenpracht & „Insta-Faktor”

    • Hobbygarten: verwandelt triste Rasenflecken in ein sommerliches Blumenmeer.

    • Kommunale Fläche: sorgt für positive Wahrnehmung bei Bürgerinnen, Bürgern und Presse.

  • Pflegeleicht

    • Hobbygarten: einmal aussäen, gelegentlich wässern – kein Dünger- oder Schnittstress.

    • Kommunale Fläche: entlastet Bauhof-Budgets; nur ein Rückschnitt im Spätherbst nötig.

  • Tolerant gegenüber mageren Standorten

    • Hobbygarten: gedeiht auch in ausgelaugten Böden, Hochbeeten und Pflanzkübeln.

    • Kommunale Fläche: ideal für Verkehrsinseln, Gleisborde und Schulhöfe.

  • Ökologischer Bonus

    • Hobbygarten: bietet Wildbienen und Schmetterlingen bis Oktober Nektar und Pollen.

    • Kommunale Fläche: leistet sichtbar Beitrag zu Biodiversitäts­programmen und EU-Pollinator-Initiative.

  • Rechtlich unproblematisch

    • Hobbygarten: enthält Kulturarten statt potenziell invasiver Exoten.

    • Kommunale Fläche: passt zu vielen städtischen Satzungen.

Kurz gesagt: Ein Säckchen Tübinger Mischung verwandelt Betonbrachen in ein saisonales Bienen-Buffet – ohne großen Aufwand.


Aussaat-Guide für Hobbygärtner und -gärtnerinnen (Fläche, Kübel & Hochbeet)


1. Standort und Zeitpunkt auswählen
Sonnenverwöhnte, möglichst mager-sandige Böden sind ideal. Mit der Aussaat kannst du ab Ende April beginnen, sobald der Boden dauerhaft etwa 10 °C warm ist; die beste Keimrate erreichst du im Mai bis Juni, möglich bleibt sie noch bis Anfang Juli. So sorgt die Mischung zuverlässig bis Oktober für Blüten – auch bei einer Nachsaat bis Mitte August noch für ein spätsommerliches Farb-Finale. 

2. Saatbett vorbereiten
Reche den Boden oberflächlich locker, entferne Unkrautwurzeln und größere Steine. Auf Dünger verzichtest du bewusst – die Arten stammen aus mageren Standorten und danken es mit standfestem Wuchs sowie reicher Blüte. Ein feinkrümeliges Saatbett verhindert, dass die winzigen Samen in Erdspalten verschwinden. Gras und Unkraut müssen unbedingt sehr sauber und tief entfernt werden. Auf einem alten Rasen etwa können die Pflanzen sich nicht entwickeln.

3. Saatgut richtig dosieren
Die Mischung ist ergiebig: nur 1 g / m² genügt – ein gestrichener Teelöffel deckt rund zehn Quadratmeter ab. Vermische das Saatgut mit trockenem Sand, feiner Erde oder feinem Sägemehl (Verhältnis 1 : 3), damit es sich beim breitwürfigen Streuen gleichmäßig verteilt. 

4. Einbringen und Andrücken
Lichtkeimer mögen es flach, denn sie benötigen Licht, um zu keimen: Arbeite die Körner höchstens 0,5 – 1 cm tief ein. Ein leichter Zug mit dem Rechen oder Besen reicht; anschließend die Fläche festtreten oder mit einer Handwalze andrücken, damit die Samen genügend Bodenschluss bekommen. 

5. Die ersten Wochen
Halte das Saatbett gleichmäßig feucht – in Trockenphasen genügen sanfte Sprühbewässerungen alle zwei bis drei Tage. Vermeide aber unbedingt Austrocknung. Erste Keimblättchen zeigen sich meist nach zwei bis vier Wochen. Schütze junge Pflänzchen, wo nötig, vor Schneckenfraß. 

6. Pflege bis Herbst
Lass die Fläche ungestört blühen; ein Schnitt vor Oktober würde das Trachtangebot verkürzen. Erst nach dem Abblühen mähen (ca. 10 cm Stoppelhöhe) und das trocknende Schnittgut abtragen, damit sich keine dicke Streuschicht bildet. Nur bei starkem Unkrautdruck darfst du zuvor einen „Schröpfschnitt“ ab 20 cm Höhe wagen. 

Tipp: Du hast nur wenig Platz für deine Tübinger Bienenmischung? Auch in Balkonkästen oder 20-Liter-Kübeln funktioniert die Mischung: etwas Blumenerde mit ein paar Gramm Saatgut vermengen, aufstreuen, andrücken – fertig ist dein Mini-Bienenweide-Hotspot. Und er blüht genauso schön, wie größere Flächen. Wichtig: Nimm bewusst nur wenig Saatgut. Bedenke, dass die Pflanzen untereinander Platz brauchen, sonst behindern sie sich im Wuchs, und es kommen nur wenige Arten zum Vorschein. Meist sind dies dann Buchweizen und Gelbsenf (auch gut für Insekten, aber nur weiße und gelbe Blüten).


Einsatzideen für Kommunen – so wird die Tübinger Mischung zum städtischen Erfolgsprojekt

Blühende Verkehrsinseln und Straßenränder:
Die Mischung eignet sich hervorragend für schmale, sonnige Restflächen entlang von Hauptstraßen oder Kreisverkehren. Nach einer einmaligen Bodenbearbeitung und Aussaat (etwa 1 g/m² – ein 10-kg-Sack reicht für gut einen Kilometer Mittelstreifen) muss der Bauhof nur noch wässern, wenn es wochenlang trocken bleibt. Ein spätherbstlicher Rückschnitt genügt. Kleine Hinweisschilder wie „Bienenweide – bitte nicht betreten“ schützen die junge Ansaat und machen gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit.

Bunte Farbflecken statt monotonem Parkrasen:
In Parks können Teilflächen des Rasens vertikutiert oder ganz abgetragen und direkt mit der Tübinger Mischung eingesät werden. Ergebnis: farbenfrohe Inseln, die den Pflegeaufwand sogar senken, weil sie nur einmal jährlich gemäht werden. Besucherinnen und Besucher nehmen solche Flächen als Aufwertung wahr – ein Pluspunkt für das Stadtimage.

Baumscheiben-Patenschaften für Bürgerinnen und Bürger:
Kommunen vergeben immer häufiger Baumscheiben an Anwohnende. Ein halber Teelöffel Saat (gut mit Sand vermischt) reicht, um rund um einen Straßenbaum einen Mini-Blühstreifen anzulegen. Die Paten / Patinnen gießen bei Trockenheit, die Stadt spart Pflegekosten – und jede kleine Fläche bildet ein nützliches Trittstein-Biotop.

Schul- und Kita-Projekte:
Ein einziger Kilo-Beutel deckt 1 000 m² – genug für einen Schulgarten oder mehrere Hochbeete. Kinder verfolgen Keimung, Blüte und Insektenbetrieb aus nächster Nähe und lernen nebenbei Artenkenntnis. Lehrkräfte können leicht Projekte wie „Bestäuber-Rallyes“ oder Nektar-Messungen anschließen.

Zwischen Bahn- und Tramgleisen:
Wo Gleiskörper nicht asphaltiert sind, kann ein schmaler Säschlitz während der Frühjahrsrevision mit der Mischung befüllt werden. Die Pflanzen binden Staub, wirken als optische Geschwindigkeitsbremse und brauchen nach Etablierung praktisch keine Pflege mehr.

So lässt sich mit einem überschaubaren Budget und wenig Aufwand und Personalaufwand ein sichtbar lebendiger Beitrag zur urbanen Biodiversität leisten – von der Verkehrsinsel bis zum Klassenzimmer, vom Balkon bis zum Kleingarten.

 

Quellen:

Reversing pollinator decline: why Europe must act now

Schutz an falscher Stelle: Verlust der Insektenvielfalt

Blühmischungen, Seite der Uni Hohenheim

 

 

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